Eine i-Info, ein Thema. Heute: Sozialpläne.

Diese i-Info fokussiert auf ein einziges Thema: Sozialpläne. Kein schönes Thema – aber wichtig. Der Anlass ist, dass die Mitglieder von impressum 2019 einen enormen Kraftakt geleistet haben. Damit haben sie ein Präjudiz geschaffen, das künftig allen Journalistinnen und Journalisten zugutekommen wird, wenn sie von Massenentlassungen betroffen sind. Zum ersten Mal in unserer Branche und fast zum ersten Mal in der Schweiz überhaupt wurde dafür ein Schiedsgericht eingesetzt, so, wie die neuen Sozialplanregeln des Obligationenrechts es vorsehen.

Um so weit zu kommen, war ein Arbeitskampf nötig, an dem sich hunderte von Kolleginnen und Kollegen aus der Suisse Romande beteiligt haben. Und der harte Kern, die 41 Entlassenen von „Le Matin“, haben hartnäckig mehr als ein Jahr lang gekämpft. Ohne diesen Kampfeswillen, die Solidarität aller Kolleginnen und Kollegen, die durch ihre impressum-Mitgliedschaft diesen Kampf unterstützt und finanziert haben sowie der koordinierte Einsatz der Sektionen und der Zentralsekretärinnen und -sekretäre wäre dieser wichtige Schritt nicht möglich gewesen.

Nicht nur der Mindeststandard für Sozialpläne ist neu, sondern auch die fokussierte i-Info. Ab heute wird sich diese abwechseln mit der gewohnten i-Info-Newsletter, die Ihnen einen Überblick über weitere Aktivitäten gibt, durch die impressum die Journalistinnen und Journalisten verteidigt, etwa durch den konstanten Einsatz für die Medienvielfalt, die Pressefreiheit, die Arbeitsbedingungen, die Solidarität und Vernetzung unter Kolleginnen und Kollegen oder etwa ein besseres Urheberrecht.

Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre!

Urs Thalmann, Geschäftsführer impressum

 

Entscheid des Schiedsgerichts in Sachen „Le Matin“: Für einen besseren Schutz der Arbeitnehmenden

Das Urteil des Schiedsgerichts vom 2. September 2019 beendete einen mehr als 500-tägigen erbitterten Kampf um die Durchsetzung der Rechte von den im Sommer 2018 entlassenen Mitarbeitenden des „Le Matin“.

Das Urteil folgte auf einen wegen seines Ausmasses beispiellosen Tarifstreit (1), der in einen lückenhaften rechtlichen Zusammenhang (2) gestellt wurde und stellt im Hinblick auf den Kündigungsschutz einen grossen Fortschritt im Arbeitsrecht dar (3).

     1. Ein lückenhafter rechtlicher Rahmen

Im schweizerischen Recht definieren das Obligationenrecht sowie der GAV der Romandie von 2014 einen allgemeinen Rahmen für die Gewährung eines Sozialplans im Falle einer Mas-senentlassung. Obwohl die Gesetzesentwicklung der letzten Jahre die Gewährung eines Sozi-alplans zwingend vorgeschrieben hat, schliesst dies nicht aus, dass trotz einer überzeugenden Doktrin in diesem Bereich bis zu diesem Zeitpunkt kein Entschädigungsrahmen festgelegt wurde.

Von nun an müssen Medienunternehmen, die beabsichtigen, Massenentlassungen vorzuneh-men, mit dem in Kraft getretenen Beschluss vom 2. September den wirksamen Schutz der verletzten Journalisten gewährleisten und ihnen erhebliche finanzielle Entschädigungen bezah-len.

Bevor wir uns dem Inhalt dieses Entscheides zuwenden, kehren wir zu den Ereignissen zu-rück, die das Verschwinden des „Le Matin“ im Sommer 2018 ausgelöst haben.

     2. Entlassungen bei „Le Matin“, der Ursprung des Urteils

Im Frühjahr 2018 reichten impressum, Syndicom sowie Redaktorinnen und Redaktoren  von Tamedia eine Petition bei der Waadtländer Schlichtungsstelle ein. Diese vorbeugende Mass-nahme zielte darauf ab, das Verschwinden der Papierversion des „Le Matin“ zu verhindern. Am 7. Juni 2018 kündigte die Tamedia-Gruppe das Ende der Papierfassung des „Le Matin“ und die Entlassung von 41 Mitarbeitenden an und schlug eine Konsultation vor. Nachdem alle von impressum, syndicom und der Redaktion  vorgeschlagenen Massnahmen von Tamedia abgelehnt worden waren, stimmten 88% der Redaktion  für einen dreitägigen Streik. Nach der Mediation durch die Waadtländer Regierung, aus der sich Tamedia nach drei Sitzungen zu-rückzog, wurde das Ende des Streiks beschlossen. Im Oktober 2018 wurden Verhandlungen über den Sozialplan n geführt, die ergebnislos blieben, wobei Tamedia bei seiner Ausgangspo-sition blieb. Ein Vermittlungsversuch wurde vom Verband Médias Suisses/Schweizer Medien   im Dezember 2018 erfolglos eingeleitet. Die Parteien haben aufgrund mangelnder Einigung beschlossen, die Streitigkeit einem Schiedsgericht gemäss den Artikeln 43 und 44 des GAV der Romandie vorzulegen. Nach dem Schriftwechsel fanden zwei Anhörungen statt, eine zur Schlichtung und eine für Zeugenaussagen und Plädoyers, an deren Ende das Schiedsgericht im September 2019 sein Urteil fällte.

     3. Das Urteil des Schiedsgerichts, Begründung neuer Rechte bei Massenentlassungen

         a. Analyse des Urteils

Das am 13. März 2019 eingesetzte Schiedsgericht, das sich aus drei bedeutenden Rechtspro-fessoren, darunter zwei Rechtsanwälte, zusammensetzte, legte den Umriss des Sozialplans fest, der den 41 des „Le Matin“ nach ihrer Entlassung am 21. Juli 2018 gewährt wurde. Zweck dieses Sozialplans ist es gemäss Artikel 335 Abs. 1 OR, die Folgen der Entlassung zu mildern. Deshalb konzentriert er sich vor allem auf den finanziellen Aspekt.

Um die Höchstgrenze der Zulagen zu bestimmen, verwiesen die Richter in Ermangelung eines diesbezüglichen Textes und einer diesbezüglichen Rechtsprechung auf die Doktrin. Diese sieht drei Skalen vor, die sich auf die wirtschaftliche Gesundheit des Unternehmens beziehen:

  • Maximal 4 bis 6 Monatssaläre, wenn sich das Unternehmen in einer Situation befindet, die ein Risiko von Entlassungen mit sich bringt;
  • Maximal 9 bis 12 Monatssaläre für ein Unternehmen, das sich anpassen muss, aber über grosse Reserven verfügt, so dass seine mittelfristige Zukunft gesichert ist;
  • Maximal 12 bis 18 Monatssaläre für Unternehmen, deren Entlassungen hauptsächlich im Hinblick auf die Gewinnerzielung motiviert sind und deren mittelfristige Zukunft gesichert ist und die eine breite finanzielle Basis haben.

Das Schiedsgericht ist der Ansicht, dass die Mitarbeitenden nicht nur deshalb entlassen wur-den weil man sich dadurch einen grösseren Gewinn erhoffte, das Unternehmen jedoch auch keine besonderen finanziellen Schwierigkeiten erwähnte, die seinen Marktanteil verringern würden. Es beschloss die Begrenzung der 12-Monats-Entschädigung anzuwenden. Unter Be-rücksichtigung der Härte der Entlassungen, die in einem besonders betroffenen Pressemarkt ausgesprochen wurden, setzt das Gericht die Mindestentschädigung auf 3 Monate fest.

Das Gericht ist der Ansicht, dass die Leistungen je nach Dienstalter progressiv sein sollten, behält aber andererseits die altersabhängige Progressivität nicht bei. Das Schiedsgericht ge-währt für jedes unterhaltsberechtigte Kind unter 7 Jahren einen Bonus, der einem halben Mo-natsgehalt entspricht.

Die Leistungen nach dem vom Schiedsgericht beschlossenen Sozialplan betragen mindestens 3 Monate und höchstens 12 Monate. Somit erhalten 10 Personen von den 41 des „Le Matin“ eine Entschädigung von 12 Monaten, was dem Maximum entspricht.

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht Tamedia sämtliche Kosten des Schieds-verfahrens in der Höhe von insgesamt CHF 30'000 auferlegt hat, da in diesem Fall die An-sprüche der Journalistinnen und Journalisten absolut berechtigt waren.

         b. Geltungsbereich des Urteils

Das Schiedsgerichtsurteil ist in klarer und nüchterner Sprache verfasst und zeichnet sich durch die Qualität und Genauigkeit seiner Argumentation aus. Die Bestimmungen des von ihm ver-abschiedeten Sozialplans rechtfertigt das Schiedsgericht damit, dass dies angemessen sei an-gesichts der im Bereich der Presse verabschiedeten Sozialpläne einerseits und anderseits auch im Hinblick auf die Entwicklung dieses Marktes im Laufe der Jahre. In Bezug auf die für die Bestimmung der Höhe der Abfindung verwendeten Stufen, vertrat das Schiedsgericht die Auffassung, dass die einschneidenden  Entlassungen in Verbindung mit dem Fehlen besonde-rer finanzieller Schwierigkeiten die Gewährung von Leistungen zwischen 3 und 12 Monaten rechtfertige.

Der Entscheid des Schiedsgerichts fordert die soziale Verantwortung der Unternehmen und stellt eine echte Vision der Sozialpolitik dar. Natürlich ist das Schweizer Recht in Bezug auf Entlassungen liberal, aber wenn das Unternehmen Entlassungen vornehmen möchte, muss es die sozialen Konsequenzen seines Handelns tragen. Das Gericht hält fest, dass es sich um har-te Entlassungen in einem besonders schwierigen  Pressemarkt handelt, in dem die Aussichten auf eine Arbeitsstelle gefährdet sind (Seite 28 der Entscheidung).

In diesem Sinne scheint es uns, dass die von den Schiedsrichtern gesendete Botschaft einen echten sozialen Fortschritt darstellt.

Abschliessend freut sich impressum für seine Mitglieder und für alle Journalistinnen und Journalisten, dass ihre langen und energischen Bemühungen Früchte getragen haben. Dieser Kampf wäre ohne die Unterstützung der Mitglieder, die durch ihre Beiträge die Aktivitäten des Vereins finanzieren, nicht möglich gewesen. Im Kontext von Medien, die einer Reihe von Umbrüchen gegenübersehen, ist es ermutigend, festststellen zu können, dass im Journalismus noch Solidarität vorhanden ist.

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