Feministischer Streik: Stimmen von Journalist:innen

Heute findet ein weiterer grosser feministischer Streik statt. Angesichts der Tatsache, dass Frauen und geschlechtliche Minderheiten noch immer niedrigere Löhne und Renten als Männer beziehen, mehr unbezahlte Arbeit übernehmen und mit Diskriminierung und Belästigung konfrontiert sind, hat unser Vorstandsmitglied Athénaïs Python Journalist:innen und Personen der Medienbranche über ihren Alltag befragt.

Welche Probleme beobachten Sie in den Redaktionen?

Dominique Hartmann - Journalistin beim Courrier in der Rubrik Gleichstellung, Co-Chefredakteurin von 2013 bis 2016:
Die Belästigung von Journalist:innen ist eine Realität. Das zeigen die Zahlen. Die Entscheidungsträger der Medien müssen das Problem thematisieren und sich für sichere Arbeitsstellen auf der Redaktion einsetzen. Ein wichtiger Schritt ist es, Leitlinien aufzustellen, die betroffenen Personen aufzeigen, an wen sie sich in solchen Situationen wenden können und wie sie sich wehren können. Dadurch sind Betroffene in solch schwierigen Situationen nicht auf sich alleine gestellt. Es gibt bereits zahlreiche Dokumente von Gewerkschaften und Verbänden, in denen Empfehlungen und rechtliche Ratschläge aufgeführt sind.

Journalist:innen werden auch im öffentlichen Raum belästigt. Ich denke, dass die Chefredaktion oder die Ressortleitung bereits im Vorfeld eine wichtige Rolle spielen können,

indem sie das Thema mit den Medienschaffenden, die über Veranstaltungen berichten, thematisieren. Im Falle einer Belästigung können die Betroffenen dann zum Beispiel die Verantwortlichen der Veranstaltung kontaktieren, damit die Last nicht nur auf ihren Schultern liegt, sondern auch ein kollektives Bewusstsein geschaffen wird. Wenn die Verantwortlichen informiert sind, können sie ihrerseits Fragen stellen und Massnahmen ergreifen, wie es beispielsweise der feministische Streik in bestimmten heiklen Situationen mit einem "Fürsorge-Team" tut.

In den Redaktionen ist in Bezug auf die Geschlechter häufig auch ein Ungleichgewicht innerhalb der Rubriken festzustellen. Einige Rubriken wie Sport oder Wirtschaft waren lange Zeit Männerhochburgen. Dies wirkt sich auf die Auswahl der Themen und deren Darstellung aus. Ein weiterer Missstand in den Redaktionen ist, dass bestimmte Themen von Natur aus von Frauen abgedeckt werden. So zum Beispiel auch Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen sowie die Rechte von Minderheiten. Dabei sind auch diese Themen ein wichtiges journalistisches Thema für alle Medienschaffenden. Dies birgt oft Schwierigkeiten für Frauen. Sie schlagen diese Themen vor, weil sie selber davon betroffen sind, möchten aber nicht nur auf Frauen-spezifische Themen beschränkt werden.

Selbstverständlich müssen Frauen auch Zugang zu Führungspositionen haben. Um den Nachwuchs vorzubereiten, kann eine Chefredaktion damit beginnen, Verantwortung abzugeben und so den Nachwuchs für Führungsaufgaben neben dem Journalismus auszubilden.

Caroline Gebhard - Journalistin bei La Côte, Präsidentin von impressum Vaud:
Als Präsidentin von impressum Vaud bemühe ich mich, die Arbeitsbedingungen aller Medienschaffenden zu verteidigen. Persönlich habe ich glücklicherweise nie Lohndiskriminierung oder Belästigung erlebt. Daher kann ich nicht aus eigener Erfahrung sprechen. Ich mache mir Sorgen um die Vereinbarkeit unseres Berufs mit der Familie. Ich habe oft erlebt, wie Medienschaffende ihre Tätigkeit aufgegeben haben, als sie Eltern wurden. Wie kann man schon sicher sein, dass man sein Kind von der Krippe abholen kann, wenn man nicht weiss, wann man die Geschichte abschliessen wird? Auch die Frage des Stillens stellt sich angesichts der oft unregelmässigen Arbeitszeiten und der oft kurzfristig angekündigten Termine, die unser Beruf mit sich bringt. Journalistinnen und Journalisten sollten ihren Beruf oder bestimmte Aspekte davon nicht aufgeben müssen, wenn sie Eltern werden. Ich bin mir nicht sicher, ob unser Berufsstand diese Schwierigkeiten in vollem Umfang erkannt hat. Die Vereinbarkeit von Elternschaft und Journalismus muss ermöglicht werden.

Vicky Huguelet, Journalistin bei ArcInfo und Sprecherin von «Journalista»
Frauen werden in den redaktionellen Inhalten zu wenig berücksichtigt. Sie machen seit Jahren nur etwa einen Viertel der Berichterstattung aus. Wenn Frauen in den Medien vorkommen, geschieht dies häufig in sexistischer Weise.

Wir setzen uns für mehr Gleichberechtigung bei den Inhalten ein, aber auch in den Redaktionen. In Schlüssel- und Führungspositionen sind Frauen untervertreten. Ein Bericht der Europäischen Rundfunkunion, der auch die SRG angehört, hat 2019 das Ausmass des Problems in der Medienindustrie aufgezeigt: Frauen stellen in den Medien 44% der Beschäftigten und nur 25% der Führungspositionen.

Das Netzwerk Journalista entstand während einer Schulung von DécadréE, bei der es darum ging, wie das Thema sexistische und sexuelle Gewalt besser behandelt werden kann. Dort wurde uns klar, dass zusammenarbeiten das Beste ist, was wir tun können, und dass ein solches Netzwerk fehlte. Wir haben Journalista offiziell ins Leben gerufen, nachdem bei der RTS Belästigungen angezeigt wurden. Der Instagram-Account #SwissMediaToo hat damals gezeigt, dass die Problematik in der ganzen Schweiz existiert. 

2017 und 2019 zeigte eine Umfrage des Internationalen Journalistenverbands (IJF) sowie eine Umfrage der Tamedia-Gruppe, dass 50 % der Journalistinnen bereits an ihrem Arbeitsplatz von Vorgesetzten, Kollegen, Politikern oder Beratern belästigt worden waren. Vor allem, wenn sie jung sind und ihre Karriere gerade erst beginnen.

Livia Lehner - Zentralsekretärin impressum:
Ein erstes Problem in den Redaktionen ist immer noch die mangelnde Transparenz der Löhne und die damit einhergehende Lohngleichheit. Bei den Kaderstellen zeigt sich, dass diese immer noch mehrheitlich von Männern besetzt sind. Im Journalismus ist auch die fehlende Erfassung der Arbeitszeit und die Tatsache, dass man ständig erreichbar sein muss, ein latentes Problem. Das ist natürlich ein generelles Problem, aber vor allem für Eltern! Aus diesem Grund ist impressum der Meinung, dass Unternehmen eine Arbeitsorganisation fördern sollten, die es sowohl Frauen als auch Männern ermöglicht, ihre Elternrolle wahrzunehmen. Schliesslich unterstützen wir natürlich die Forderung des feministischen Streiks nach einer Nulltoleranz bei sexueller Belästigung und Gewalt. Es braucht innerbetriebliche Schutzmechanismen, die wirklich wirksam greifen können. Leider kann man viel zu oft beobachten, dass sich die Betroffenen aufgrund mangelnder Schutzmechanismen nicht trauen, sich zu wehren. Oder wenn sie sich doch wehren, sind die Erfolgsaussichten nicht sehr gut. Um dies zu ändern, müssen innerhalb der Unternehmen dringend Schutzmechanismen in Kraft gesetzt werden.

Wie könnten sich die Medien in Bezug auf die vermittelten Rollenbilder oder Stereotypen verändern und integrativer werden?

Dominique Hartmann:
Indem man sich regelmässig die Frage stellt, welche Klischees man verbreitet, welche Vorstellungen der Geschlechter man fördert... Indem man sich fragt, ob man genauso viele Expertinnen wie Experten befragt, usw. Selbst wenn in einem Team ein gewisser Grad an Sensibilität erreicht ist, ist dies nicht ein für alle Mal sicher. Um die Auseinandersetzung mit diesem Thema zu fördern, lohnt es sich, regelmässig Expertinnen einzuladen, um über Gleichstellungs- oder Inklusionsthemen zu sprechen. Des Weiteren ist es auch wichtig, einen Raum zu schaffen, in dem sich Medienschaffende über Situationen austauschen können, die ihnen Mühe bereitet haben. Dies kann z.B. während dem Briefing sein.

Auch die Auswahl der Fotografien und Bildunterschriften ist wichtig. Dafür kann es hilfreich sein, eine Checkliste für die Redaktion mit den folgenden Fragen zu haben: "Welches Bild vermittelt das Foto von der betroffenen Person? Respektiert das Bild ihre Würde? Zeige ich die Person in einem Kontext, der ihr schaden wird?". Insbesondere für Praktikantinnen und Praktikanten ist es nützlich, bei der Neueinstellung ein Vademecum zur Hand zu haben, an dem sie sich orientieren können. Damit sehen sie, dass Gleichstellung und Inklusivität "banale" Dinge und Teil der journalistischen Ethik sind.

Schlussendlich ist auch die Ausgewogenheit innerhalb der Redaktionen natürlich wichtig: Wenn wir nicht alle weiss und cis-geschlechtlich sind, ist dies hilfreich.

Caroline Gebhard:
Vor einigen Tagen habe ich einen Artikel über eine Ausstellung der Fotografin Ghislaine Heger geschrieben, die 21 Waadtländerinnen fotografiert hat, die zu ihren grauen Haaren stehen. Diese Frauen sprechen offen über die Klischees, die dieser Haarfarbe immer noch zu oft anhaften. Eine von ihnen sagte mir: «Ich freue mich auf den Moment, in dem die Medien schreiben, dass man auch mit zunehmendem Alter schön sein kann.» Die Medien entwickeln sich stets immer im Gleichschritt mit der Gesellschaft und sind deren Spiegelbild. Meiner Meinung nach können sie sich jedoch nicht schneller entwickeln als die Gesellschaft. Hingegen ist es ihre Aufgabe, aufmerksam zu bleiben, gesellschaftliche Veränderungen zu verarbeiten und zu integrieren, sobald sie auftreten. Die Denkansätze und der Wille, mehr Inklusivität anzustreben, sind vorhanden. Aber es gibt keine Zauberformel, um dies sofort zu erreichen. Es gilt, Ideen zu dekonstruieren und neue Möglichkeiten zu finden. Die Bewegung ist in Gang gekommen, auch wenn man noch vorsichtig den Weg abtastet.

Vicky Huguelet:
Seit dem Streik im Jahr 2019 und den darauffolgenden Streiks interessieren sich die Medien zwar stärker für Gleichstellungsfragen, doch leider immer noch zu wenig. Um in ihren Inhalten und Redaktionen inklusiver zu sein, müssen die Medien damit beginnen, sich selbst in Frage zu stellen und zu analysieren, wo es Verbesserungsmöglichkeiten gibt. Ein Netzwerk wie Journalista ermöglicht es, unter Betroffenen zu diskutieren und dann in den jeweiligen Medien Denkanstösse einzubringen. Eine fertige Gebrauchsanweisung gibt es leider nicht.

Livia Lehner:
Die geschlechtsneutrale Sprache ist in aller Munde. Dabei dürfen weitere Aspekte des Problems nicht in den Hintergrund gedrängt werden: Wenn Expertinnen und Experten befragt werden, ist es wichtig, dass Frauen zu Wort kommen. Deswegen sollten die Medien kritisch prüfen, ob sie immer die gleichen etablierten männlichen Experten ansprechen oder ob sie bewusst auch weibliche Vertreterinnen eines Fachgebiets einbeziehen. Bei der Beschreibung von Personen ist es wichtig, darauf zu achten, dass stereotypische Rollenbilder nicht verstärkt werden. Schliesslich sollte bei der Auswahl von Bildern und Fotografien darauf geachtet werden, dass Frauen und Männer gleichwertig dargestellt werden. Es versteht sich von selbst, dass keine sexualisierten Fotografien von Frauen verwendet werden sollen, die als "Eyecatcher" dienen. Die Darstellung von Frauen muss durch den Inhalt motiviert sein.

 

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