Die verschiedenen Gewerkschaften und Berufsverbände, namentlich impressum, beteiligen sich an der Organisation solidarischer Massnahmen zwischen den Redaktionen, zwischen den Titeln, zwischen den Sprachregionen und zwischen den Berufsgruppen. Es muss daran erinnert werden, dass bereits im Jahr 2023 rund 80 Stellen gestrichen worden sind und jetzt in den Druckereien 200 Stellen und in den Redaktionen abermals 90 Vollzeitstellen abgebaut werden sollen.
Eine Strategie, aber zu welchem Preis?
Nach derzeitigem Kenntnisstand wird es bis Mitte September dauern, bis die Geschäftsleitung das genaue Ausmass des Personalabbaus in den einzelnen Redaktionen bekannt gibt. Bis dahin bleiben die Journalistinnen und Journalisten in völliger Ungewissheit über ihre berufliche Zukunft. Sie sollen weiterarbeiten, als ob nichts geschehen wäre, obwohl demnächst 15% der Belegschaft abgebaut werden sollen. Diese unerträgliche Situation wurde insbesondere von der Personalkommission der Deutschschweizer Titel bei der Geschäftsleitung von Tamedia kritisiert.
Fabienne Sennhauser, Co-Präsidentin von impressum, ist direkt von der Umstrukturierung betroffen, da sie bei Tamedia für den Tages-Anzeiger in Zürich angestellt ist. Sie berichtet über die Stimmung in den Redaktionen seit den Ankündigungen der Geschäftsleitung: „Informationen über das Tagesgeschäft in den einzelnen Redaktionsteams wurden auf Mitte September versprochen. Das sind drei Wochen, in denen für alle Mitarbeitenden ein Vakuum entsteht. Das ist eine viel zu lange Zeit! Insbesondere für alle jene Mitarbeitenden in den Redaktionen all jener Titel, die digital verschwinden werden, ist das unzumutbar. Tamedia-CEO Jessica Peppel-Schulz wünscht sich, dass die Mitarbeitenden offen für die neue Strategie sind und sich per sofort an der Erarbeitung des zukünftigen Konzepts beteiligen. Das ist angesichts des luftleeren Raums, in dem man sich befindet, aber schlichtweg unmöglich.“
Was von impressum seit Jahren kritisiert wird, hat Simon Bärtschi, Leiter Publizistik von Tamedia, schliesslich in einem Interview zugegeben: Der Personalabbau der letzten Jahre sei ohne „eine wirkliche Strategie“ beschlossen worden (RTS vom 27.08.24, 19:30 Uhr). Die neue Direktorin von Tamedia äusserte sich bei einer Informationsveranstaltung für das Personal ähnlich. „Seinen Vorgängern die Schuld an den Problemen der Gegenwart zuzuschieben, hat in der Management-Branche Tradition. Den Mitarbeitenden helfen solche Schuldzuweisungen aber in keiner Weise – insbesondere weil sie es sind, die nun ein weiteres Mal die Konsequenzen zu tragen haben“, sagt Fabienne Sennhauser. Bisher ist denn auch noch wenig klar, welche Auswirkungen die neue Strategie auf die Kaderebene von Tamedia hat. Die Belegschaft erwartet, dass hier im gleichen Umfang gespart wird, wie in den anderen Bereichen auch.
Kann die Belegschaft, die von der Geschäftsleitung schockiert und enttäuscht ist, der Strategie vertrauen, die jetzt offenbar umgesetzt werden soll? Fabienne Sennhauser äussert Zweifel: „Jessica Peppel-Schulz konnte zwar glaubhaft erklären, dass eine langfristige Strategie hinter der nun kommunizierten Restrukturierung steckt. Nur, ob die kommunizierte Strategie aufgehen kann, weiss schlicht niemand - auch Jessica Peppel-Schulz nicht. Aussagen, wonach der eingeschlagene Weg die Zukunft des Qualitätsjournalismus im Hause Tamedia sichert, sind zynisch und derzeit nicht angebracht.“
Bessere Rahmenbedingungen für Qualitätsjournalismus
Das Personal der Westschweizer Redaktionen, das bereits bei den 2023 ausgesprochenen Entlassungen einen hohen Preis bezahlt hat, sieht in diesem Plan - der von der Direktion als „radikal“ präsentiert wird - ein x-tes Manöver, das die Redaktionen unweigerlich schwächen wird. Caroline Gebhard, Co-Präsidentin von impressum und Journalistin im Kanton Waadt, stellt fest, dass sich die gleichen Widersprüche in der Rhetorik der Tamedia-Geschäftsleitung wiederholen: „Wie kann man behaupten, einen Qualitätsjournalismus zu fördern, wenn man systematisch die Redaktionen zerschlägt? Diese Umstrukturierungen gefährden nicht nur einzelne Titel, sondern auch die Vielfalt der Medienlandschaft in unserem Land und damit die demokratische Debatte.“
Caroline Gebhard betont die Auswirkungen dieser jüngsten Ankündigungen auf die Branche im weitesten Sinne: „Wir haben keine Ruhe mehr, die Umstrukturierungen folgen seit einem Jahr in einem rasanten Rhythmus aufeinander, und ich mache mir sowohl um die Zukunft unserer Medien als auch um die Zukunft von uns Journalistinnen und Journalisten Sorgen. Zu dem Risiko, dass unser Beruf erneut wertvolle Kompetenzen verliert, kommt noch das Risiko hinzu, dass Berufskolleginnen und -kollegen ihre persönliche Balance verlieren.“
impressum weist darauf hin, dass Tamedia in der Romandie die Bestimmungen des Gesamtarbeitsvertrags (CCT) missachtet. Der GAV sieht vor, dass die Personalvertreter:innen bei drastischen Strategieänderungen in die Überlegungen miteinbezogen werden. Es wurde jedoch „kein einziger Vertreter der Redaktionen im Vorfeld hinzugezogen. Tamedia verpflichtet sich eher dazu, die für einen börsenkotierten Konzern wichtige Vertraulichkeit übermässig zu schützen, als die Vereinbarungen der Sozialpartnerschaft in der Westschweiz einzuhalten“, erklärt Urs Thalmann, Geschäftsführer von impressum. Dieses Verhalten verdeutlicht ein inakzeptables Misstrauen gegenüber den Mitarbeitenden. Wenn die Mitglieder der Geschäftsleitung die notwendige Diskretion wahren können, können dies selbstverständlich auch die Vertreter:innen der Redaktionen tun, wenn sie von Anfang an in die Überlegungen einbezogen werden. Vertraulichkeit ist keine stichhaltige Ausrede, um gegen die Verpflichtungen des GAV zu verstoßen“. Für Urs Thalmann hängen Qualitätsjournalismus und Pressefreiheit auch von Rahmenbedingungen ab, die es den Berufstätigen ermöglichen, ihren Beruf in Ruhe auszuüben. Hier haben die politischen Akteure eine Rolle zu spielen und impressum begrüsst die jüngste gemeinsame Stellungnahme der verschiedenen Westschweizer Kantone gegenüber den von Tamedia geäusserten Absichten.
Die Forderungen von impressum
impressum, der Berufsverband von rund 3500 Journalistinnen und Journalisten in der ganzen Schweiz, wehrt sich gegen den angekündigten Stellenabbau. „Wenn es eine neue Strategie gibt, muss die Geschäftsleitung von Tamedia einen Weg finden, diese umzusetzen, ohne erneut Massenentlassungen vornehmen zu müssen“, erklärt Urs Thalmann. impressum fordert, dass rasch ein Moratorium für Entlassungen bei Tamedia ausgehandelt wird, damit die verbleibenden Redaktionen aufatmen und die Mitarbeitenden langfristig zur neuen Strategie beitragen können. Weiter fordert impressum mehr Transparenz und den frühzeitigen Einbezug der Personalvertreter:innen bei strategischen Überlegungen, wie es Artikel 7 der CCT in der Suisse Romande vorschreibt. impressum hat bei Tamedia nachgefragt, wie sie ihren Pflichten aus der CCT fristgerecht nachzukommen gedenken. Dabei verlangt impressum ausdrücklich, dass die Mitarbeitenden, über deren Köpfe in den nächsten drei Wochen ein Damoklesschwert schwebt, so gut wie möglich über die internen Abläufe während dieser Umstrukturierungsphase informiert werden. Auch die Journalistinnen und Journalisten, die als externe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für Tamedia arbeiten, müssen individuell informiert werden. Tamedia muss interne Schulungen anbieten, damit die bestehenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vorrangig Zugang zu den Arbeitsplätzen erhalten, die die neue Strategie zu schaffen verspricht.
impressum unternimmt zusammen mit den betroffenen Mitarbeitern alles, um die Verhandlungen aufzunehmen und Entlassungen zu vermeiden. Der Berufsverband steht seinen Mitgliedern und Journalisten für individuelle Beratung zur Verfügung.